Der Wessely
Vorwort "Sensation! Leiwand! Endlich!" Mit solchen Superlativen wurde es bereits in der einschlägigen Wiener Presse gelobt, vom "Augustin" bis zur "Kronen Zeitung". Und als Steirer in Wien, war es für mich natürlich Ehrensache, der Wiener Volkskultur die Ehre zu geben. Als ob ein Büro in der Simmeringer Heide nicht genug Ehrerbietung gewesen wäre. Aber ich wollte es ja nicht anders. "Andy Warhol" hatte ich gesehen, es galt also nur mehr, das erste, einzige und neue, weil auch private und unsubventionierte Wiener Volkskulturmuseum zu besuchen. Adresse: Irgendwo im zwanzigsten Bezirk, zwischen Mexicoplatz, Heiligenstadt und Millenniumstower. Ehemaliger Gemeindebau, irgend ein "Hof".
Anreise Taxi, bitte kein Fiaker, weil zu teuer und am Handelskai auch nicht sehr ratsam, oder mit dem "O" zwei Stationen, dann mit dem 38er vier Stationen, 77A drei Stationen, 54A acht Stationen, zehn Minuten zu Fuß, zu Nummer 33, bei "Hausbesorger" klingeln und Herrn Wessely verlangen.
Eintrittspreise 35 Schülling oder 3 noch nicht eingetragene und archivierte Schimpfwörter. Meine drei Vorschläge "Ruamzutzler", "Loamerl" und "Rahmkaibl" entlockten Herrn Wessely nur ein mildes "35 Schül`!", ohne bitte, versteht sich. Mein Abo der Bundesmuseen galt hier nicht.
Einführung Wir waren etwa 20 Besucher, gemischtes Publikum, keine Japaner. Die Führung begann. Herr Wessely begann mit seinen Ausführungen in Raum 1: "Hochverehrtes Publikum, liebe Gäste in unserem Museum, dem ersten, einzigen, neuen, privaten, unsubventionierten Wiener Volkskulturmuseum im Zwanzigsten! (Bezirk, Anm.). Danke fürs kommen! Spülregeln: Nix angreifen, nix reden, außer i frog, außer ich frage Ihnen was! Gemmas an!" (Trotz der Bemühung um absolute Authentizität, beende ich bereits nach 35 Worten meinen kläglichen Versuch, das Wienerische zu überliefern; ab sofort (fast) ganz nach der Schreibe.) "Wir betreten nun Raum eins, im welchen Sie, geschätztes Publikum, wie Sie auf Seite 3 unseres Kataloges nachlesen können, über die Anfänge dieses Museums, von der Idee eines gewissen Herrn Karl Wessely, mein Herr Vater, angefangen, bis zur tatsächlichen Umsetzung der ersten Konservierung eines typischen Wiener Schimpfwortes. Mein geschätzter Herr Vater, Gott hab ihn selig, hat es sich also zur Lebensaufgabe gemacht, typische wiener, später auch österreichische und dann sogar internationale Wortraritäten zu bewahren. Doch bald, nach ersten erfolglosen Forschungsjahren, erkannte mein Herr Vater, dass es beim reinen Aufschreiben und kurzen Beschreiben allein nicht bleiben kann. Die Idee zu dem, was wir hier als sein Lebenswerk bewundern können, kam meinem Herrn Vater beim nächtlichen (kurze Pause)"olöllern" im Dezember 53 in Grinzing. Wie Sie auf den Bildern 1-9 sehen können, spielte sich in etwa folgendes ab: Bild 1: Karl W., also mein Herr Vater, beim Stockschnapsen (Kartenspiel, Anm.) mit Ferdinand L., Hermann T. und Adolf Z. Bild 2: Karl W., gepeinigt von einem sehr menschlichen, wenn Sie wissen, was ich meine, Bedürfnis. Man beachte den vortrefflich getroffenen gequälten Gesichtsausdruck meines geschätzten Herrn Vaters. Bild 3: Wie es halt so sein Brauch war, Karl W. auf dem Weg ins Freie.
Bild 4: Karl W. im Freien, ca. minus 5 Grad, 20 cm Neuschnee, sternenklar. Bild 5: Karl W. entledigt sich seines Bedürfnisses mit der ihm so eigenen Art und Weise. Das Dampfen auf dem Bild sind nicht die EBS (Entsorgungsbetriebe Simmering, Anm.) im Hintergrund, die wurden erst 85 errichtet. Bild 6: Karl W. blickt um sich, um nächtliche Spanner frühzeitig zu orten. Bild 7: Karl W. ist unvorsichtig, er wird ertappt.
Auf Bild 8 sehen sie den erschrockenen Gesichtsausdruck meines geschätzten Herrn Vaters. Bild 9: Und hier, auf dem einzigen Bild mit Sprechblase, der Ausspruch der Zeugin Hermine J., welche das Schlüsselerlebnis meines geschätzten Herrn Vaters auslöste. Ich zitiere: 'Verschwind, du Schneebrunzer, du elendiger!' Und ob dieser göttlichen Fügung, dass er, also mein Herr Vater, gerade seine kleine Not in den frischen Schnee verrichtete, war ihm klar, dass man solche vielleicht bald vergessene Raritäten nicht nur in Wort, sondern auch in Bild, jeglicher Art von Darstellung, aber auch anderen Formen, wie sie in den nächsten Räumen sehen werden, bewahren, also konservieren muss. Der ja schon fast vergessene Ausdruck "Schneebrunzer" erhält, und sie werden mir alle recht geben, eine neue Dimension und eine unsterbliche Form der Manifestierung!" (Wieder kurze Pause, Stimmung wie vor dem großem Halleluja beim Hochamt.) Raum 1 enthält weiter nur ein paar Fotos mit einigen auf Hartpostblättern maschinengeschriebenen Informationen über das Leben und Wirken des Straßenbahnchauffeurs Karl Wessely.
Raum zwei Weitere Beispiele in Bildergeschichten samt blumigster Erklärung konservierter Begriffe wie "Sacklpicker", "Ruamzutzler" oder "Hacklschmeißer". Eher fad, bis auf die letzte Konservation in Raum zwei: Ich will die Konservierung des Begriffes: "A... (in Wien O...) bohrer" nicht weiter kommentieren. Die Erklärungen des Herrn Wessely beschränkten sich auf das Erklären, wann einerseits die Idee, andererseits die Umsetzung der Bildergeschichte erfolgt ist. Es sei hinzugefügt, dass alle Fotos von Herrn Wessely jun. persönlich gemacht wurden.
Raum drei
Wessely: "Nachdem ich sie, geschätztes Publikum, über die Entstehung der ersten Konservierungen und die Grundidee dieses einzigartigen Museums informiert habe, finden sie hier in Raum drei einige Beispiel herkömmlicher Konservierungen, sprich die Anfänge der professionellen Forschungsarbeit meines Herrn Vater. Sie haben nun ca. 10 Minuten Zeit, sich in Raum drei umzuschauen, dann gehen wir weiter. Ab jetzt kann gefragt werden. Zehn Minuten." `Herkömmliche Konservierungen` hieß ganz einfach, Bildergeschichten wie in Raum eins und einige Skulpturen, eine Art schlechtgemachtes Wachsfigurenkabinett. Der nächste Höhepunkt: Diesmal der Schneebrunzer als Installation, welche nach Einwurf von `Schilling Zehn` tatsächlich seinem Name alle Ehre machte, und eine geruchlose gelbe Flüssigkeit in eine Art Schnee aus Porozellkügelchen plätschern ließ. In weiteren Bildergeschichten wurden Begriffe wie `Saubär`,` Nasenbohrer` oder `Pfluftl` konserviert. Wobei mir persönlich der `Pfluftl` ganz besonders gefiel. Die zehn Schilling für den Schneebrunzer habe ich natürlich riskiert. Ganz nett! Die zehn Minuten waren sicherlich ausreichend, wenige und dumme Fragen werden gestellt. Pünktlich nach zehn Minuten unterbrach Herr Wessely das leichte Gemurmel mit einem forschen "Herrschaften, aufgepasst!" Wortlos führte er uns in den nächsten Raum. Die Frage "Kommt jetzt der berühmte Raum vier?" überfuhr er mit einem erzürnten "Nie fragen, Pappen halten und zuhören!" Es war nicht Raum vier, noch nicht. Wir kamen in einen etwas kleineren Raum als zuvor, Herr Wessely bat uns höflich, auf den roten Polstersesseln Platz zu nehmen.
Raum zwischen drei und vier Wessely: "Hochgeschätzte Besucher, ich habe Ihnen nun eine amtliche Mitteilung zu machen. Nach Verordnung 34B, Absatz 56, Ziffern 6-8, Privatmuseenverordnung von 1959, Novelle 1987, muss ich Ihnen, Sie, darauf hinweisen, dass es im nächsten Raum zu Irritationen bis hin zu möglichen Dauerschäden kommen kann. Es werden Ihnen Objekte und Konservierungen gezeigt, die erstens dem `Jugendschutz` und zweitens, auf persönlichen Wunsch hin, der Verordnung Schutz vor Verrohung des gemeinen Volkes` unterliegen. Ich bitte sie nun, die von mir ausgehändigten Einverständniserklärungen genau durchzulesen, mit Ihrer geschätzten Paraphe, samt Namen in Blockschrift, Datum und Ort zu unterfertigen. Sie haben zwei Minuten. Alle, welche sich mit der Vereinbarung mittels Unterschrift als einverstanden erklären, stehen jetzt auf, der Rest: Danke und auf Wiederschaun, Ausgang durch die Räume zwei und eins. Grüß` Sie!" Achtzehn bleiben über, zwei verlassen uns. "Folgen Sie mir nun in Raum vier!" Und dann grinsend hinzufügend "Von mir auch gerne Rexglaslzimmer genannt!"
Raum vier Schon beim Betreten raubte uns ein stechender Formalyngeruch den Atem. Die Objekte waren hinter dicken und schwarzen Samtvorhängen versteckt. Wessely: "Ich darf sie zu ihrer Entscheidung gratulieren, sich nun dem Höhepunkt unserer Schau zu widmen. Einige Worte zur Einführung. Nach anfänglichen Erfolgen in den späten Fünfzigern, stand mein Herr Vater vor dem Problem, dass es ihm beim besten Willen nicht gelang, Schätze der Wiener und internationaler Volkskultur zu konservieren. So gelang es ihm jahrelang nicht, das originale `A... (in Wien O ...) kappelmuster` haltbar zu machen. Wieder einmal musste, wenn sie mir den kriminalistischen Vergleich gestatten, Kommissar Zufall helfen. Im Jahre 1964 verstarb mein hochgeschätzter Herr Großvater, Karl Wessely der Ältere, bei einem tragischen Verkehrsunfall. Er wurde beim Versuch, sich durch einen Sprung von der alten Reichsbrücke das Leben zu nehmen, jäh durch den Aufprall auf einen akkurat in dem Moment passierenden rumänischen Schubkoppelverband gestoppt. Er fiel in eine nicht vorschriftsmäßig abgedeckte Braunkohleladung. Durch den Aufprall und dem dort befindlichen Dreck wurde er fast bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Sein Vorhaben gelang trotzdem, Hintergründe wurden nie geklärt. Nach einigen Tagen der erfolglosen Suche nach meinem Herrn Großvater, wurde mein Herr Vater ins gerichtsmedizinische Institut von Dürnstein, weil der rumänischen Besatzung der blinde Passagier erst dort auffiel, zwecks Identifizierung des dort aufliegenden Leichnams, gerufen. Langer Rede kurzer Sinn, mein geschätzter Herr Vater musste in das besagte Institut, nahm anstatt Tür 7b Tür 17b und stand freudestrahlend in der Pathologie.
Ein Raum voll der interessantesten und abscheulichsten Präparate menschlicher Verunstaltungen. Ich will auf nähere Einzelheiten verzichten. Doch die Idee war klar, der Gedanke geboren und bald umgesetzt. Die Identifizierung wurde vorgenommen, die Bestattung drei Tage später erledigt. Ich werde nun den ersten Vorhang öffnen, damit sie die älteste, aber auch berühmteste derartige Konservierung sehen können: Vaters geliebtes `A... (in Wien O ...) kappelmuster`" Was wir jetzt zu sehen bekamen, war Objekt A1, in einem Behälter aus Glas. Es war tatsächlich ein eingelegtes A... (in Wien O...) usw. muster. Objekt A1, Katalognummer 234.
Die restlichen Zimmer An alles, was dann noch geschehen ist, kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Der Wessely, wie er seitdem von unserer eingeschworenen Gemeinschaft, die diesen Horrortrip überstanden hat, in all unseren ehrfürchtigen und schauderhaften Erzählungen genannt wird, sitzt jetzt in Stein (Gefängnis, Anm.). Einzelzimmer. Zwanzig gingen mit mir damals durch die Hölle, achtzehn kamen in Raum vier, siebzehn wieder heraus. Ein Berliner Urlauber galt lange als vermisst. Auch noch als das Museum, mittlerweile von Amtswegen geschlossen, eine neue Sensation ankündigte: "Neues Objekt! Der ultimative Saupreiß'! Lebensgroß!" Der vermisste Eber aus Stixneusiedl bei Bruck/Leitha, ist auch nie mehr aufgetaucht. |
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