Der Putzteufel
Satire von Georg Franz . November. Es ist tragisch, wie schnell die Zeit vergeht. Da steckt man mitten im Berufsalltag und möchte doch so viele Dinge zusätzlich tun. Kaum kommt man dazu, das Leben wirklich zu genießen. Und als ich so in meinem Wohnzimmersessel sitze und wieder einmal über die Zeit und das Leben sinniere, kracht plötzlich mein Regal zusammen. Die Last der Zeitschriften und ungelesenen Bücher ist zu groß geworden. Eine riesengroße, todbringende Staubwolke zieht vom Regal blitzschnell zu mir und hüllt mich ein. Ich schaffe es in letzter Minute, zum Fenster zu springen und es zu öffnen. Die Größe der Staubwolke ist mir ein Rätsel. Ich habe doch erst gestern meine Wohnung geputzt, oder war es vor einem halben Jahr? Nun, es muss schon etwas länger her sein. Mit einem Mal fällt mir auf, in welchem Saustall ich hause. Aber jetzt, da ich dieses Übel bemerkt habe, gibt es kein Halten mehr, es zu beseitigen. Sonntag am Abend ist doch noch immer die beste Zeit, um endlich einmal ins Reine mit sich selbst zu kommen. So räume ich den Trümmerhaufen ein wenig auf und schnappe mir den Staubsauger. Aber das Glück ist nicht auf meiner Seite, das Ding macht ein paar laute Röhrer und verabschiedet sich in den Staubsauger Himmel. Völlig erschöpft von soviel Anstrengung und Pech gehe ich schlafen.
Nächstes Wochenende. Ich stürme in einen Elektro-Großhandel, um mir einen neuen Staubsauger zu kaufen. Doch zuerst werde ich von der großen CD-Abteilung des Geschäfts abgelenkt. Schließlich braucht man zum Putzen gute Musik, die man laut spielen kann, um den Putzlärm zu übertönen. Nach einer Stunde finde ich dann eher zufällig die Staubsauger-Abteilung. Wie ein Ochse vorm neuen Tor stehe ich da und begaffe die verschiedenen Geräte. Der Verkäufer, der nach einer weiteren halben Stunde endlich aufgetaucht ist, beruhigt mich und meint: "Saugen können sie alle." Nach einer weiteren Stunde habe ich mich endlich für ein Modell entschieden. Auf dem Weg zur Kassa stolpere ich in die Computerabteilung ... Zurück in meiner Wohnung bin ich von den Strapazen des Staubsauger-Kaufs dermaßen erledigt, dass ich mich sogleich bei guter Musik und einem neuen Computerspiel den Rest des Wochenendes erholen muss.
Eine Woche darauf werde ich dann doch ein wenig neugierig und packe den neuen Staubsauger aus. Er ist wirklich ein Prachtstück! Aber gerade, als ich ihn einstecken und ausprobieren will, ruft eine gute Freundin von mir an. Ich lade sie spontan zu einem Kaffee bei ihr ein, das Wochenende ist gelaufen. Einen Monat später bekomme ich wieder Schuldgefühle. Wie kann ich zivilisierter Mensch in diesem Dreckloch leben? Nein, in meiner Wohnung ist es nicht mehr auszuhalten. Zur Sicherheit, um mir Putz-Tipps von einer Fachfrau geben zu lassen, rufe ich eine weitere Freundin an. Sie ist ein ganz lieber Mensch, gebildet und humorvoll, aber bei Schmutz versteht sie keinen Spaß. Bei einem ausgiebigen Arbeitsessen bei ihr, das das ganze Wochenende dauert, besprechen wir die aus ihrer Sicht hoffnungslose Lage.
Frühjahr. Ich stelle mir die Sinn-Frage: Warum soll ich die Wohnung überhaupt putzen? Sie verdreckt doch wieder und wieder. Um meinem Ärger über diese Ungerechtigkeit Luft zu machen, gründe ich im Internet die Selbstmitleidgruppe der Putzverweigerer und gehe in den Putz-Widerstand. Als ich zu einer Demonstration aufrufe, kommen 300.000 Menschen zum Wiener Heldenplatz und schließen sich mir an. Zwei Wochen später besinne ich mich wieder, nachdem ich zum ersten Mal Mühe habe, mir den Weg von der Eingangstür zum Arbeitszimmer durch Gerümpel, Müll und Spinnweben durchzuschlagen. Voller Tatendrang setze ich mich zu meinem Computer und beginne, meine Festplatte aufzuräumen. Da herrscht erst ein Durcheinander! Noch viel ärger als in meiner Wohnung! Und da ich ein längst gelöscht geglaubtes Spiel auf der Festplatte anfinde, dauern diese Arbeiten das ganze Wochenende. Viele Ausflüchte später. Jetzt ist es mir wirklich ernst. Ich fahre zu meinem besten Freund und übergebe ihm meinen Computer und meinen Fernseher, die er mir erst wieder aushändigen soll, wenn ich meine ganze Wohnung geputzt habe. Zurück in meiner Wohnung verriegle ich die Tür, stecke das Telefon aus, schalte das Handy ab und fühle mich wie Herkules im Pferdestall. Beim Saugen des Schlafzimmers fällt mir auf, dass meine Teppiche äußerst verdreckt sind. Ich nehme den ersten, öffne das Fenster - ich wohne im vierten Stock eines Hauses, das keinen Hof hat - und beutle ihn aus. Eine Staubwolke ungeahnten Ausmaßes entwickelt sich. Nachdem ich den 7. Teppich ausgebeutelt habe, verdunkelt sich die Sonne endgültig, die Stadt gibt Giftalarm. Zum Glück weht ein starker Wind ostwärts und blies die Staubwolke schnell nach Ungarn, nach einer halben Stunde kann Entwarnung gegeben werden. Ich habe mich nun in einen wahren Putzrausch gesteigert, bin nicht mehr zu stoppen. Beim Aufräumen entdecke ich ungeöffnete Liebesbriefe von meiner Exfreundin, Toastbrot aus dem 19. Jahrhundert und das bereits zu Staub verfallene Skelett eines Vormieters.
Das Schlafzimmer ist als erstes fertig, die Küche folgt nun. Aus Gründen der Zeitersparnis koche ich nicht, denn das macht ja nur noch mehr Dreck. Ich ziehe meine kugelsichere Weste an, hole meine Schrotflinte, öffne blitzschnell die Kühlschranktür und erschieße alles, was sich bewegt. Den Kühlschrank übergebe ich samt nun wieder leblosen Inhalt der Tierkadaververwertung. Beim Arbeitszimmer brauche ich etwas länger, zum Schluss putze ich das Badezimmer. Und dann bin ich endlich fertig! Nach 12 quälenden, mühevollen, anstrengenden Stunden. Zufrieden setze ich mich in meinen Arbeitssessel, zünde eine Zigarette an, schalte das Handy ein und rufe meinen Freund an. Voller Freude erzähle ich ihm, wie es in meiner Wohnung blitzt und strahlt. Im Klo auch?" fragt er ganz nebenbei. Verdammt! Nun weiß ich, was ich vergessen bzw. verdrängt habe.
Ja, das Klo! Der Alptraum eines jeden putzenden Menschen. Alles in meinem Körper weigert sich, diese letzte Hürde zu nehmen. Ich rufe noch einmal meinen Freund an. Das nächste Mal werde ich es ganz bestimmt reinigen, versichere ich ihm. Er bleibt hart: "Du hast mir ausdrücklich gesagt, dass ich Dir deine Sachen nicht zurückgeben darf, bevor das Klo nicht sauber ist." Ich sitze also in der - Verzeihung - Scheiße. Ich muss all meinen Mut zusammennehmen und richte einen Kübel mit Wasser und Reinigungsmittel her. Danach ziehe ich mir meine gelben Gummihandschuhe an und stelle mich wie weiland John Wayne bewaffnet mit einem Putzfetzen vor die Klotür. Aug in Türgriff stehe ich also da.
Nach einer Viertelstunde noch immer. Verzweifelt rufe ich meinen Freund noch einmal an, doch er lässt sich nicht erweichen. Ich verfluche ihn. Nun bin ich zu allem bereit und schleiche mich ins Parterre des Hauses. Dort lauere ich der Hausmeisterin auf. Ich locke sie mit einem Stück Marillenkuchen in meine Wohnung, verriegle die Tür, setze ein irres Grinsen auf, befehle ihr, das Klo zu putzen. Sie lacht mich aus und weigert sich, obwohl ich ihr mit meinem schärfsten Küchenmesser drohe. Ich ramme ihr nach einem kurzen Kampf das Messer in den Bauch. Sie sackt zusammen, fällt auf den Boden und bleibt regungslos liegen. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für eine Sauerei ist. Ich brauche eine Stunde, um das Blut aufzuwischen.
Erneuter Anruf bei meinem Freund: "Ja, ich habe das Klo endlich geputzt. Bist Du so lieb und bringst mir meine Sachen vorbei?" Mein Freund hat mir gratuliert, macht sich auf den Weg und läutet in einer halben Stunde an meiner Wohnungstür. Er hat etwas dumm aus der Wäsche geschaut, als ich ihm das Messer von hinten an seine Kehle gedrückt habe. Noch komischer ist ihm geworden, als er die tote Hausmeisterin - eingepackt in einem Müllsack - am Boden bemerkt hat. Bleich reinigt er mein Klo. Jetzt bin ich glücklich. Ich habe endlich Zeit und eine saubere Wohnung. Man hat mich zwar in Untersuchungshaft genommen, ich bin mir aber sicher, dass ich für längere Zeit nicht mehr putzen muss. Oder? |
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